wache REM Phasen
Warum...
... wirkt die bilaterale Hemisphärenstimulation?
EMDR? Oder wache REM-Phasen?
Über die Wirkungsprinzipien von EMDR gibt es mehrere Theorien, welche alle bis heute noch nicht zufriedenstellend belegt sind. Einige Beobachter vermuten das schon lange bekannte Prinzip der Desensibilisierung (engl. desensitization).
Der Klient setzt sich in Gedanken der Erinnerung und somit einem aversiven Reiz aus. Die Augenbewegungen lenken gleichzeitig vom Gedanken ab und bewirken so ein "Entlernen": die Erinnerung verknüpft sich zunehmend mit neutralen Emotionen und Empfindungen. Erfahrene Therapeuten wie wir können jedoch berichten, dass dieses reine Konfrontieren in Zusammenhang mit einer zusätzlichen, entspannenden oder neutralen Aufgabe zwar Effekte bringt, der den EMDR-Prozessen aber nicht gleichkommt. Oftmals kann es sogar passieren, dass Betroffene überhaupt keine Erleichterung bei einer Desensibilisierungs-Intervention finden.
Sie sind immer wieder gleich betroffen von der schmerzenden Erinnerung. Auch mehrmaliges Erzählen der belastenden Erinnerung hilft oftmals nicht, sondern wird von vielen Klienten mit posttraumatischem Stress als ausgesprochen unangenehm und retraumatisierend erlebt. Auswirkungen wie die zuvor beschriebenen kreativen Ideen der Klienten oder die spontan befreienden Körpererlebnisse treten unserer Erfahrung nach in dieser intensiven Form nur bei EMDR-Interventionen auf. Interessant ist jedoch, dass die (...) zuvor beschriebenen Effekte nicht nur durch das Winken, sondern auch bei einem auditiven Input vergleichbarer Art auftreten. Schnipst man beispielsweise im ursprünglichen "Winke-Rhythmus" links und rechts am Ohr der Klienten, erfahren viele ein ähnliches Ergebnis wie mit den Augenbewegungen. Das gleiche gilt für taktile Reize: abwechselndes Tippen auf linke und rechte Schulter oder linke und rechte Handfläche.
Heutzutage probieren viele EMDR-Anwender mit ihren Klienten aus, auf welchem Sinneskanal die "links-rechts-Intervention" am besten wirkt. Francine Shapiro geht inzwischen davon aus, dass EMDR durch so genannte bilaterale Stimulation eine optimale Zusammenarbeit von rechter und linker Gehirnhälfte herstellt. Dadurch entsteht eine fließende Aktivierung von neuronalen Vernetzungen, was einen intensiven mentalen Lösungs- und Heilprozess auf Basis bereits vorhandener Ressourcen des Menschen freisetzt. Unterstützung findet diese Theorie durch ganz einmalige EEG-Aufnahmen, welche in einem Beitrag des Senders ARTE zum Thema EMDR auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurden. Diese Aufnahmen wurden während des Nachtschlafs von schwer traumatisierten Menschen, die unter Albträumen leiden, aufgezeichnet.
Die Betroffenen - wie beispielsweise Vietnam-Veteranen - wachen von überwältigenden Angsterlebnissen auf und fühlen sich dadurch emotional in ein traumatisches Erlebnis aus der Vergangenheit zurückkatapultiert. In der Trauma-Therapie spricht man hier von einem Flash-Back-Phänomen. Die EEG-Aufnahmen zeigten nun deutlich, dass im Flash-Back-Erleben die linke Gehirnhälfte, vor allem das Sprachzentrum der Betroffenen wie ausgeschaltet ist, also keinerlei Aktivität zeigt. Die rechte Gehirnhälfte hingegen zeigt eine hohe Aktivität, als würde dort das erinnerte Erlebnis in Bildern und Gefühlen aufgeführt werden. Ein Flash-Back-Erleben scheint einem also die Sprache zu verschlagen - wie es im Volksmund ja so anschaulich heißt. Diese Beobachtung ist schon daher von besonderer Bedeutung, weil wir die Sprache nicht zur zur Kommunikation mit anderen Menschen, sondern vor allem auch für unser Selbstmanagement nutzen. Täglich gehen uns tausende von Gedanken durch den Kopf, mit denen wir auch unsere täglichen Erlebnisse, Pläne und Befindlichkeiten kommentieren: "Oh, es ist schon sieben Uhr, jetzt muß ich aber aufstehen", denken wir oder "Was ziehe ich heute an?" Diese unbewussten inner-sprachlichen Abläufe nennt man automatische Gedanken. Sie kommen auch zum Einsatz, um die Sinneseindrücke des Tages zu verarbeiten:
"Was hat da denn geraschelt? Mensch, hab' ich mich erschrocken. Ach, das war ja nur ein kleiner Vogel im Gebüsch - völlig harmlos." Wir benutzen also die automatischen Gedanken, um Erlebnisse und damit auch unsere Gefühle beständig zu moderieren. Erst diese intrapersonelle sprachliche Moderation sorgt dafür, dass der Schreck nachlässt. Im Gespräch, durch Lesen oder Nachdenken gewonnene Erkenntnisse machen wir uns in Gedanken bei Bedarf über inneres Sprechen zugänglich. Geht ein Veteran aus dem Vietnamkrieg abends ins Bett, kann er sich selbst sagen: "Es ist alles in Ordnung, ich bin zu Hause, der Krieg ist viele Jahre her." Doch nachts kann dieser sprachliche Selbstberuhigungs-Effekt wegen eines vorübergehenden Ausfalls des Sprachzentrums offentsichtlich nicht mehr wirken. Das emotionale Erleben, die Bilder überschwemmen unmoderiert die Seele und können durch Sprache nicht mehr geordnet werden.
Diese Ergebnisse aus der Gehirnforschung haben uns und viele unserer Kollegen sehr nachdenklich gestimmt. Gilt doch die Psychologie als eine Hochburg des Sprechens:"Gut, dass wir darüber gesprochen haben" ist eine gängige Floskel geworden oder "Sprich dich aus, dann geht's dir besser" gilt als allgemein akzeptiertes Seelen-Rezept. Insofern sind wir stets gutmeinend über die Ängste unserer Klienten hinweggegangen, die sagten, sie hätten vor dem Sprechen Angst, müssten sich überwinden oder befürchten, dadurch alles nur nochmals durchleben zu müssen. Was ist nun, wenn bei posttraumatischen Stress bzw. bei Post Achievement Stress (PAS) Gesprächsergebnisse die verletzten oder gekränkten Gefühle gar nicht heilend erreichen? Was ist, wenn bei dieser ganz besonderen mentalen Beeinträchtigung die Vernetzung zwischen Sprachzentrum und Emotionsverarbeitung blockiert ist? Dann könnte es durchaus stimmen, dass in einzelnen Fällen Gespräche alte Gefühle einfach nur reaktivieren anstatt sie heilend zu integrieren und dass der Impuls des "Ruhen-lassen-wollens" intuitiv gar nicht so falsch ist, wie wir Therapeuten immer alle dachten. Die EMDR-Intervention ist in ihrem Kern nicht-sprachlich. Der Weg der Veränderung führt über rhythmische, bilaterale Sinneserlebnisse - seien es nun Augenbewegungen, oder links und rechts wechselnde auditive oder taktile Reize. Vielleicht erwachen durch diese Intervention wieder die neuronalen Bahnen, welche für die Unterhaltung zwischen rechter und linker Gehirnhälfte sorgen und bringen so dem Gehirn seine vollständige Leistungskraft zurück.
Sind die Mentalkräfte dann wieder vollständig und ganzheitlich aktiviert, findet dieses Gehirn dann seine eigene kreative Lösung im Sinne einer heilenden Informationsverarbeitung der im Nervensystem blockierten und hängengebliebenen Erinnerung. Die so wiederhergestellte Vernetzung scheint dann auch aufrechterhalten zu bleiben, wenn der Klient dann später allein mit dem Erlebten umgeht. Er kann sich jetzt durch seine Eigenkräfte neuronal immer wieder aus den emotionalen Spuren des damals Erlebten herausarbeiten. Auf diese Weise wird der Klient nach der Intervention zum mentalen Münchhausen, der sich je angeblich einst am eigenen Schopfe nur durch Eigenkraft aus dem Sumpf herausziehen konnte. Aber auch die Theorie der bilateralen Hemisphärenstimulation basiert mehr auf einer Vermutung als auf neurologischen Befunden.
Man kann EMDR auch als eine REM-Phase im Wachzustand auffassen, wobei die Geheimnisse der heilenden Wirkung von Träumen ebenfalls noch nicht ganz geklärt ist. Bei diesem Vergleich ist aber zu berücksichtigen, dass das reine nächtliche Träumen bei vielen Patienten und Klienten nicht bei der Überwindung einer traumatischen Stress-Spur geholfen hat. Bezeichnenderweise ist in einem solchen Fall oft der Nachtschlaf gestört, weil die Betroffenen in ihren Träumen in der Verarbeitung steckenbleiben und von diesem blockierenden Gefühl wach werden. Die emotionale Hürde scheint also erst durch das wache Rapid Eye Movement erzielt zu werden. Ebenfalls offen bleibt die Frage, warum EMDR manchmal erstaunlicherweise auch bei Phantomschmerzen hilft. Hier scheint die Methode entsprechende Nerven zu veranlassen, die chronische Sendung eines Schmerzgefühls wieder zu entlernen und auf die Aussendung von angenehmen oder neutralen Körperempfindungen zurückzuschalten. Vielleicht wirkt EMDR ja ebenfalls entlernend auf Neuronen, die Emotionen wie Angst, Wut oder Scham chronisch aufrechterhalten. All diese offenen Fragen sind jedoch kein Grund, die Methode noch in der Anwendung zurückzuhalten. Die offensichtliche positive Wirkung scheint uns als Anwendungsmotiv voll ausreichend zu sein. Und eines scheint EMDR mit Sicherheit zu bewirken: EMDR ist eine Methode, die es erlaubt, sich direkt mit der Amygdala, also dem Gehirn-Alarmglöckchen zu unterhalten und es dazu überreden kann, sich zu beruhigen.
(Der Text wurde dem Buch Besser-Siegmund, Cora, Siegmund, Harry (2001): EMDR im Coaching - wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, Junfermann Verlag, Paderborn entnommen.)
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